Atom RSS

Die billige Ausrede: Atomstrom / 10.07.08

Kernkraftwerk Grafenrheinfeld

Wir verschwenden Energie. Wir verpesten die Atmosphäre mit Treibhausgasen. Wir leben über unsere Verhältnisse und wollen nicht dafür bezahlen.

Langsam fängt es jetzt an zu kneifen: die nächste Gasrechnung, bloß nicht dran denken! Der nächste Tankstopp, mal eben 100 Euro! Und es soll ja noch schlimmer kommen.

Das ist eine Zeit für Patentrezepte, und schon schwirren sie uns um die Ohren. Biosprit – na das war ja wohl nichts, doch lieber Brotgetreide anbauen und die Urwälder der Erde in Ruhe lassen. Wasserstoff – eine hübsche Technologiespielerei, und woher soll der denn kommen, etwa aus energieaufwendiger Elektrolyse?

Also eine Neuauflage der strahlenden Zukunft: Atomstrom. Sauber, billig, verlässlich, verfügbar, überhaupt das Nonplusultra. Frankreich macht’s doch vor: 4 Fünftel des Stroms erzeugen die Franzosen in Atomkraftwerken. Und die Amerikaner sind auch dafür.

Ja, warum eigentlich nicht? Nur weil Rot-Grün einen Atomausstieg beschlossen haben und Schwarz diese Entscheidung in der Großen Koalition nicht gekippt hat?

Im August kommen wieder Kinder aus Weißrussland zu uns nach Hiltrup, den Erholungsaufenthalt im gesunden Westfalen organisiert eine Tschernobyl-Initiative. Ach ja, da gab es ja mal in grauer Vorzeit einen Reaktorunfall?

Tun wir doch nicht so, als ob Murphy‘s Law nicht auch bei der Energieerzeugung gilt: Wenn es mehrere Möglichkeiten gibt, eine Aufgabe zu erledigen, und eine davon in einer Katastrophe endet oder sonstwie unerwünschte Konsequenzen nach sich zieht, dann wird es jemand genau so machen. Atomkraft ist und bleibt eine Risikotechnologie. Die Endlagerfrage ist weiterhin nicht geklärt. Die aktuellen Vorgänge um Asse II und um den Störfall in einer südfranzösischen Atomanlage zeigen erneut, dass keine der offenen Fragen zur Sicherheit der Atomenergie gelöst ist.

Längere Laufzeiten für die vorhandenen Atomkraftwerke sind vor allem im Interesse der Betreiber, d.h. der vier großen Energieversorger. Die Verbraucher profitieren nicht davon: Längere Laufzeiten haben keine unmittelbare Auswirkung auf die Strompreise, auch wenn die Atom-Lobby dies vorgaukelt. Zudem werden die AKWs massiv über die Steuergelder der Bürgerinnen und Bürger subventioniert.

Atomkraft erhöht nicht die Versorgungssicherheit, da ihr Betrieb von Uranimporten abhängig ist. Sie stellt auch keine Alternative zur Energieerzeugung aus den knapper werdenden fossilen Rohstoffen Öl, Gas und Kohle dar. Ein zukunftsfähiger Weg führt nur über den massiven Ausbau erneuerbarer Energien (für den der Atomkonsens einen wichtigen Impuls gegeben hat) sowie über konsequentes Energiesparen.

Das fängt bei jedem von uns selbst an: haben wir alle Möglichkeiten ausgeschöpft, unsere Wohnungen und Häuser energetisch zu optimieren? Die Stadt Marburg geht voran: bei jeder größeren Baumaßnahme im Bestand ist eine Solaranlage für die Brauchwassererwärmung Pflicht. Haben wir die Energiefresser im Haushalt verschrottet, Glühbirnen ersetzt, die Stand-by-Energieverschwendung gestoppt? Und was ist mit unserem Auto: zu gefräßig, zu oft benutzt? Und unsere Siedlungsstruktur, muss die nicht auch überdacht werden mit ihren Schlafsiedlungen an der Peripherie und der Verlagerung des Einzelhandels in die Center am Rand?

Da wird schnell deutlich: Atomkraft bringt der ins Gespräch, der eigentlich gar nichts ändern will oder dem die Kreativität dazu fehlt. Eine billige Ausrede fürs Nichtstun.

Deshalb steht die SPD zu dem beschlossenen Atomkonsens. Der Konsens wurde unter der Regierung Schröder vereinbart und hat einen langwierigen gesellschaftlichen Konflikt beendet. Ein neuer Grundsatzstreit über die Atomenergie hilft dem Land bei der Beantwortung der zentralen Frage nicht weiter, wie die zukünftige Energieversorgung sicher, klimaschonend und bezahlbar organisiert werden soll.

Der Atom-Konsens legt eine Reststrommenge fest, die von deutschen AKWs erzeugt werden darf. Die Aufteilung auf die einzelnen Kraftwerke kann flexibel angepasst werden, nur die Gesamtmenge des Atomstroms ist fix. Wenn neue AKWs länger laufen sollen, müssen ältere eher vom Netz. Andersherum geht es nur auf Antrag und mit Genehmigung des Bundesumweltministeriums.

Völlig klar ist für uns: Einen Neubau von AKWs wird es mit uns auf keinen Fall geben. Das wollen auch die Menschen in Deutschland nicht. Der Vorschlag von Erhard Eppler, das Verbot des Neubaus in das Grundgesetz aufzunehmen, zwingt CDU/CSU dazu, sich klar zu positionieren.

Mit fremden Federn: Nackte Maschinen Halbzeit 2008 im Bundestag: Viel erreicht und viel zu tun!